Die Räude und das Jägerlatein: Töten für die Tiergesundheit?
Die Räude und das Jägerlatein: Töten für die Tiergesundheit?
Dag Frommhold, 2014

In mehreren Bundesländern sind derzeit Novellierungen der Landesjagdgesetze im Gang oder zumindest in Vorbereitung. Dabei wird unter anderem darüber diskutiert, besonders grausame Jagdarten wie die Fallen- und die Baujagd zu verbieten, die für die Tötung von Füchsen nahezu bundesweit noch Gang und Gäbe sind. Auch die Einführung bzw. Ausweitung von Schonzeiten scheint auf dem Verordnungsweg in mehreren Bundesländern denkbar.
Räudekranker Fuchs im fortgeschrittenen
Stadium der Krankheit (Bild: TinyPackages/flickr)
Alles in allem handelt es sich dabei letztlich um überschaubare Zugeständnisse an den Tier- und Naturschutz – das von vielen Verbänden geforderte vollständige Verbot der Jagd auf Beutegreifer ist bislang in keinem Bundesland geplant. Dennoch kämpft die Jägerschaft mit harten Bandagen gegen jede noch so geringfügige Verbesserung des Schutzes ihres Beutekonkurrenten Reineke. Als Argument wird dabei immer häufiger ins Feld geführt, dass intensive Fuchsbejagung zur Bekämpfung der Räude unerlässlich sei. Bei der Räude handelt es sich um eine von Milben verursachte Hauterkrankung, die bei Haustieren und auch dem Menschen leicht behandelbar ist, bei wild lebenden Füchsen jedoch lebensgefährlich sein kann. Die Bejagung des Fuchses reduziere die Auftretenshäufigkeit der Räude und trüge insofern dazu bei, Fuchsbestände gesund zu halten.
Als die saarländische Jamaika-Koaltion beispielsweise 2010 eine sechsmonatige Schonzeit für Füchse etablierte, malten die Saarjäger Schreckensszenarien explodierender Fuchsbestände und ausufernder Räudeepidemien an die Wand. Zwei Jahre später meldeten sie dann tatsächlich, dass die Füchse sich durch Einführung der Jagdruhe stark vermehrt hätten und infolgedessen die Räude zugenommen habe.
Sinkende Fuchsdichten statt „Bestandsexplosion“
Allerdings gibt es überhaupt keine Daten, die diese Thesen untermauern. Im Gegenteil: Die Anzahl der getöteten Füchse, die bei konstantem Jagddruck als Indikator für die Bestandsdichte gelten kann, ist seit Inkrafttreten der Schonzeit deutlich gesunken. Wurden 2009/2010 im Saarland noch 4.701 Füchse von Jägern getötet, so waren es 2010/2011 nur noch 3.559. Könnte man bis dahin noch argumentieren, die geringere Fuchsstrecke sei der gesunkenen Bejagungsintensität geschuldet, so zeigt sich auch in den Folgejahren eine konstante bis rückläufige Gesamtpopulation anstelle der prognostizierten Bevölkerungsexplosion: 2011/2012 fielen Jägern 2.890 Tiere zum Opfer, 2012/2013 – einem Jahr mit viel Schnee und sehr günstigen Jagdbedingungen – lag die Fuchsstrecke etwa auf demselben Niveau wie 2010/2011, und 2013/2014 konnten die Jäger nicht einmal mehr 2.000 Füchse töten. Auch von Wildtierstationen wurde gemeldet, dass tendenziell weniger verwaiste Jungfüchse abgegeben wurden.
Damit zeigt sich auch im Saarland, was wissenschaftliche Studien ebenso wie Beobachtungen in jagdfreien Gebieten schon seit geraumer Zeit belegen: Weniger Fuchsjagd bedeutet keineswegs mehr Füchse. Tatsächlich weisen stark bejagte Fuchspopulationen deutlich höhere Geburtenraten auf als Füchse, denen nicht nachgestellt wird. Auf der einen Seite bedeutet dies, dass man Füchse mit jagdlichen Mitteln überhaupt nicht reduzieren kann, weil die Verluste rasch durch mehr Nachwuchs kompensiert werden. Auf der anderen Seite nehmen Fuchsbestände aber – anders, als es von der Jägerschaft behauptet wird - eben auch nicht zu, wenn sie nicht oder mit geringerer Intensität bejagt werden.
Vier nachgewiesene Räudefälle in sechs Monaten
Dennoch ist die Jägerschaft sich nach wie vor nicht zu schade, an ihrer offenkundig falsifizierten These festzuhalten. Und das gilt nicht nur für die vermeintliche „Bestandsexplosion“ des Fuchses, sondern auch für die angebliche Zunahme der Räude. Als das saarländische Landesamt für Verbraucherschutz, aufgeschreckt von den Behauptungen der Saarjäger, zur Einsendung aller räudeverdächtigen Tiere aufforderte, konnte die Jägerschaft trotz massiver Mobilisierung ihrer Mitglieder innerhalb von sechs Monaten gerade einmal 13 räudeverdächtige Füchse vorweisen. Davon erwiesen sich wiederum nur vier als tatsächlich erkrankt. Auch hier erfolgte kein demütiges Eingeständnis der eigenen Fehleinschätzung, sondern stattdessen gebetsmühlenhaftes Wiederholen des alten Jägerlateins.
Jagd: Zur Bekämpfung von Wildseuchen kontraproduktiv
Füchse mit guter Konstitution können
die Räude ausheilen (Foto: sara/flickr)
Dabei ist die Jagd als Mittel zur Bekämpfung von Wildtierseuchen gerade beim Fuchs eher kontraproduktiv: Durch den Anstieg der Geburtenraten wächst der Anteil an Jungfüchsen in stark bejagten Revieren. Da Jungfüchse im Herbst auf Reviersuche gehen und dabei oft kilometerweit wandern, sind sie es meist, die Krankheiten erst in neue Gebiete einschleppen.
Fakt ist zudem, dass die Räude schon seit Jahrzehnten in unregelmäßigen Abständen lokal aufflackert. Dabei zeigt sich, dass vor allem geschwächte Füchse besonders anfällig für eine Infektion sind. Neben Parasiten, Krankheiten oder Nahrungsmangel kann auch hoher Jagddruck die Konstitution der Tiere beeinträchtigen. So zeigen verschiedene Studien, dass beim Tod eines Fuchsrüden, der seine Familie mit Nahrung versorgt, der körperliche Zustand sowohl der Füchsin als auch der Welpen erheblich beeinträchtigt werden kann. Auch dies legt eine kontraproduktive Wirkung der Fuchsjagd nahe.
Räuderesistente Fuchspopulationen
Mittlerweile gibt es übrigens mehrere Belege dafür, dass sich – insbesondere nach einem Räudezug – Fuchsbestände herausbilden, die weitgehend gegen die Räude resistent sind. Nur bei einem kleinen Teil dieser Tiere treten tatsächlich Symptome auf. Jäger können einem Fuchs eine eventuelle Räuderesistenz jedoch nicht ansehen und töten somit wahllose resistente Tiere ebenso wie für den Parasiten anfällige. Infolgedessen wird der sich aus der Resistenz ergebende Überlebensvorteil eliminiert, was abermals dem Ziel der Reduktion von Räudefällen zuwiderlaufen dürfte.
Räude seltener als vermutet
Fuchsjagd als Dienst an
der Tiergesundheit?
(Bild: Sandro+Bianka Pelli)
Wie verbreitet die Räude in Fuchspopulationen tatsächlich ist, wurde bislang kaum systematisch untersucht. Derzeit laufen Forschungsprojekte in Bayern, die Antworten auf diese Frage geben sollten; in Baden-Württemberg wurde 2005 die bisher umfangreichste Erfassung von Räudefällen in Deutschland vorgenommen. Hier zeigte sich, dass von 2.481 untersuchten Füchsen nur etwa drei Prozent tatsächlich in Kontakt mit Räudemilben gekommen waren. Als Haut und Fell dieser etwa 80 Tiere genauer untersucht wurden, stellte sich heraus, dass nur vier von ihnen tatsächlich äußere Merkmale einer Räudeerkrankung aufwiesen. Hochgerechnet bedeutet dies, dass von 10.000 baden-württembergischen Füchsen etwa 300 räudepositiv waren und gerade einmal 15 von ihnen auch Symptome zeigten.
Diese Zahlen legen nahe, dass die tatsächliche Verbreitung der Räude weit überschätzt wird, und dass die Jagdverbände sie wie zuvor Tollwut und Fuchsbandwurm instrumentalisieren, um in Bevölkerung und Politik Rückhalt für die Bejagung des Fuchses zu gewinnen. Insbesondere sollen Weiterentwicklungen der Jagdgesetze hin zu mehr Tierschutz – etwa in Form von Schonzeiten oder dem Verbot besonders grausamer Jagdarten – verhindert werden. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Jagdverbände, dass sie dabei auch vor gezielter Fehlinformation der Öffentlichkeit und höchst manipulativer Panikmache nicht Halt machen.
Räude: Feigenblatt für andere Motive zur Fuchsjagd
Dass es bei der Fuchsjagd letztlich um etwas ganz anderes als den Kampf gegen Wildtierseuchen geht, zeigen beispielsweise Jagdforen im Internet, in den Jäger sich stolz mit ihrer blutigen Beute – ob Altfuchs oder Welpe – präsentieren. Vor den Augen einer immer kritischeren Öffentlichkeit dürfte Jagdlust aber kaum als Argument für die massenhafte Tötung von Füchsen bestehen können.
Literatur
  1. Constantin, E.-M. (2005): Epidemiologische Untersuchung zur Verbreitung der Räude beim Rotfuchs (Vulpes vulpes) in Baden-Württemberg. Dissertation, Berlin.
  2. Davidson, R.; Bornstein, S.; Handelanda, K. (2008): Long-term study of Sarcoptes scabiei infection in Norwegian red foxes (Vulpes vulpes) indicating host/parasite adaptation. Veterinary Parasitology, Vol. 267(3-4)
  3. Vergara, V. (2001): Comparison of parental roles in male and female Red Foxes, Vulpes vulpes, in southern Ontario. Canadian Field Naturalist, Vol. 115(1)
  4. Zabel, C.J. (1986): Reproductive Behavior of the Red Fox (Vulpes vulpes): A Longitudinal Study of an Island Population